>>> Nazismus, Holocaust & der Zweite Weltkrieg — Gewalt und Genozid in Vergangenheit und Gegenwart —- Unterschiedliche Dartselltungen zum selben Thema vergleichen —– Gedenk- und Erinnerungskultur als PDF
Das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Befreiung vom Nazismus jährte sich 2015 zum 70. Mal. Oberflächlich betrachtet sind sich alle einig, dass die Niederlage des Nazismus eine begrüßenswerte Tatsache ist. Nicht mehr ganz so eindeutig sieht diese Tatsache der ukrainische Ministerpräsident Jazenjuk in einem Interview im Jänner 2015 – ab Minute 20:40:
>>> Prezi zu der Zahl der Opfer des Zweiten Weltkriegs nach Ländern
Drei Beispiele aus der vom Bayrischen Rundfunk vertonten Sammlung von Quellen aus der Zeit der Nazi-Herrschaft – Quellen Sprechen:
Ein Brief von Artur Szliferstejn, einem jüdischen Flüchtling, der über seine Ankunft im von der Roten Armee besetzten Teil Polens im Herbst 1939 berichtet: http://die-quellen-sprechen.de/04-022.html
Elena Kutorgiene-Buivydaite schreibt über die Erschießung von jüdischen GhettobewohnerInnen im Herbst 1941 in Kaunas (Litauen): http://die-quellen-sprechen.de/07-210.html
„Ponar heißt Tod“ – Aufruf vom 1. Januar 1942, verfasst von Abba Kovner, zur Gründung einer bewaffneten Widerstandsgruppe im Wilnaer Getto: http://die-quellen-sprechen.de/07-223.html
Wie sehr sich die Tendenz einer Darstellungsweise verändern kann, lässt sich an Hand des folgenden „Information Films“ untersuchen, der im Auftrag der US-Regierung im Jahr 1943 nach dem Sieg der Roten Armee in Stalingrad erstellt und veröffentlicht wurde, er trägt den Titel: „Why We Fight – The Battle of Russia“
In der folgenden Dokumentation steht die 1922 geborene ehemalige jüdische Widerstandskämpferin Fanja Brankowskaja im Zentrum:
http://lizaruft.blogspot.co.at/
Informationen zur Geschichte der jüdischen Bevölkerung in Litauen während der Besatzung durch Nazi-Deutschland (seit 1941):
Seit September 1941 musste ein Teil der jüdischen Bevölkerung aus dem Wilnaer Getto Zwangsarbeit verrichten. Zehntausende Jüdinnen und Juden, die über keinen „Arbeitsschein“ verfügten, wurden schon im Herbst 1941 nach Ponar getrieben und erschossen.
Der von den Nazis eingesetzte „Judenrat“ glaubte, durch strengen Gehorsam gegenüber den Nazis möglichst viele Getto- BewohnerInnen retten zu können. Vor allem jüngere BewohnerInnen des Gettos, die schon zuvor politisch aktiv gewesen waren, begannen hingegen damit, Widerstand zu organisieren. Im Januar 1942 wurde im Getto von Wilna von Mitgliedern unterschiedlicher politischer Gruppierungen die „Fareinikte Partisaner Organisatsije“ (FPO) gegründet. Dieser vom Kommunisten Yitzak Wittenberg geleiteten Widerstandsorganisation schloss sich auch Fania Brantsovskaya an. Die FPO plante einen bewaffneten Aufstand für den Fall, dass die Nazis das Getto „liquidieren“ sollten. Als Signalworte für den Beginn des Aufstandes wurde „Liza ruft“ vereinbart.
[…]. Kurz vor der „Liquidierung“ des Gettos flüchteten rund 100 Mitglieder der FPO und schlossen sich den sowjetischen PartisanInnen im Umland von Wilna an. Den Kern der sowjetischen PartisanInnegruppen bildeten Mitglieder der Roten Armee, die vor der Gefangenahme durch die Wehrmacht im Jahr 1941 in die Wälder geflohen waren. Jüdische Flüchtlinge bildeten die Mehrheit der PartisanInnen-Einheit „Rächer“, zu der aber auch nicht-jüdische Mitglieder aus Litauen, Polen, Weißrussland und Russland gehörten. Diese Einheit wurde vom ehemaligen FPO-Leiter Abba Kovner angeführt, sie stand allerdings wie die anderen PartisanInnen-Gruppen unter sowjetiscchem Oberbefehl. Der Kampf der PartisannInnen hatte nichts Romantisches. Mit Angehörigen feindlicher Gruppierungen oder Spitzeln wurde „kurzer Prozess“ gemacht. 1944 kam es zu einem Zusammenstoß zwischen den PartisanInnen und dem pro-faschistisch eingestellten „Selbstschutz“ des litauischen Dorfes Koniuchy, bei dem zahlreiche DorfbewohnerInnen ums Leben kamen. Diese zivilen Opfer des Partisanenkampfes stehen aber in kaum einem Verhältnis zu den rund 5.000 Dörfern, die von der Wehrmacht und der SS allein im angrenzenden Weißrussland dem Erdboden gleichgemacht worden waren.
Zentral für den Zugang der Dokumentation zur Geschichte des Holocaust ist die historische Erfahrung der jüdischen Opfer. Die Erfahrungen von Tod, Leiden und Verlust wollen wir um die Erfahrung „Opfer als Akteur_innen“ ergänzen. Bis in die 1980er Jahre dominierte das antisemitische Klischee, Juden und Jüdinnen hätten sich widerstandslos „wie die Schafe zur Schlachtbank“ führen lassen. Das Bewusstsein dafür, dass in allen größeren Ghettos Osteuropas bewaffnete jüdische Untergrundorganisationen existierten, wuchs allerdings nur langsam. An die 15 000 jüdische Partisanen und Partisaninnen waren allein in Ostpolen, Litauen und der westlichen Sowjetunion aktiv. Zugleich deutete sich an, dass die Shoah nicht nur die Geschichte der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik war, sondern auch die Geschichte von Selbstbehauptung und Widerstand jüdischer Männer, Frauen und Kinder. Wer diese waren und wie sich ihr Handeln genau gestaltete, blieb bis heute allzu oft im Dunklen.
[….] Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1989/90 begann die vorerst letzte Phase von Herausforderungen und Verarbeitungsversuchen. Der Unabhängigkeitsprozess, bei dem auch zahlreiche LitauerInnen jüdischer Herkunft beteiligt waren, war von einer Aufarbeitung des sowjetischen Menschenrechtsverletzungen und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Stalinismus begleitet. Rund 130.000 ZivilistInnen waren auf Stalins Befehl zwangsweise aus Litauen nach Sibieren umgesiedelt worden. Nach Stalins Tod wurden die meisten politischen Gefangenen entlassen und den Deportierten wurde die Rückkehr erlaubt.
Etwa 20.000 litauische anti-kommunistische Kämpfer wurden in Auseinandersetzungen mit der Roten Armee getötet oder hingerichtet. Auf der anderen Seite waren rund 13.000 ZivilistInnen nicht-jüdischer Herkunft von der von den Nazis eingestzten litauischen Verwaltung wegen „Kollaboration“ mit den Sowjets getötet bzw. hingerichtet worden.
In das anfängliche Nebeneinander der kollektiven Erinnerungen schlichen sich schnell Schiflagen ein. Die Erinnerung an die Shoah wurde im demokratischen Litauen politisch immer mehr umkämpft. Es dominiert die Vorstellung vom „doppelten Genozid“. Nach dieser Auffassung hätten die Sowjetunion und Nazideutschland gleichermaßen einen Völkermord verübt, und Litauen sei jeweils das Opfer gewesen. Exemplarisch dafür stehen die Worte des litauischen Außenministers Audronius Ažubalis stehen, der anlässlich des 70. Jahrestages der Wannsee-Konferenz sagte, zwischen Hitler und Stalin gebe es keinen Unterschied außer ihrer Schnurrbärte: der von Hitler sei kürzer gewesen.
[…] Selbstverständlich müssen die systematischen Menschenrechtsverletzungen in der Sowjetunion und die stalnistischen Verbrecchen weiter aufgearbeitet werden. Aber die stalinistischen Verbrechen unterscheiden sich qualitativ und quantitativ radikal vom Holocaust:
– Sie waren nicht rassistisch motiviert, sondern sozial und politisch. Es ging um die Bekämpfung von Mitgliedern der bürgerlichen Eliten, die Unterdrückung des antikommunistischen Widerstands und des Widerstands gegen Zwangskollektivierungen der Landwirtschaft.
– Das Trauma des Holocaust hat keine Entsprechung auf Seiten der nicht-jüdischen Mehrheitsgesellschaft. Von den 230.000 jüdischen LitauerInnen wurden 95 % ermordet. Diese beispiellose Effizienz verdankt sich der Mithilfe litauischer NationalistInnen und AntisemitInnen.
Das Filmprojekt ist also nicht nur eine Annäherung an das Leben einer kämpferischen Frau, eine Dokumentation der Shoah im Baltikum und eine Würdigung jüdischen Widerstands, sondern auch eine Intervention in aktuelle erinnerungs- und geschichtspolitische Debatten und Prozesse in Litauen wie in Deutschland (und Österreich).